«Mama, bitte lern Deutsch» von Tahsim Durgun

Inhalt
Tahsim Durgun wächst in Oldenburg in einer kurdisch-jesidischen Familie auf. Seine Mutter lebt seit Jahrzehnten in Deutschland, spricht aber kaum Deutsch. Da Tahsims Deutschkenntnisse schnell besser sind als die seiner Familienmitglieder, muss er schon früh Verantwortung übernehmen und übersetzt bereits als Kind Kündigungen, Arztbriefe und Behördenformulare für seine Eltern und begleitet seine Mutter zu Arztbesuchen. Neben den alltäglichen Herausforderungen einer Migrantenfamilie, begleitet sie auch die ständige Angst, wieder abgeschoben zu werden.

Meine Mutter, die Poetin der Gerüstlandschaft, die mir die Welt mit Metaphern, Vergleichen und Symbolen erklärte, hatte sich im Supermarkt nicht wehren können. Und obwohl sie die Worte nicht verstanden hatte, war die Botschaft, war der Schmerz bei ihr angekommen. Manchmal, so denke ich heute, ist es egal, welche Sprache der Empfänger spricht, denn Schmerz folgt keiner Grammatik, Schmerz sprechen wir alle.
S. 64

Kritik
Durgun berichtet über Rassismus im Alltag, Klassifizierung und Integration anhand zahlreicher alltäglicher Beispiele. Er erzählt mit einer entwaffnenden Ehrlichkeit, die durch viel Humor und Sarkasmus ergänzt wird.

An guten Tagen verwenden meine Eltern Kosenamen, so etwas wie „Dilemin“ („mein Herz“), „Kezebamin“ („meine Leber“) oder „Cavemin“ („mein Auge“). Kurden drücken ihre Liebe gerne aus, indem sie die adressierte Person mit lebenswichtigen Organen gleichsetzen. Schön, aber auch ein bisschen makaber.
S. 90

Fazit
„Mama, bitte lern Deutsch“ bietet einen authentischen Perspektivenwechsel und zeigt alltägliche Hürden mit denen nicht deutsche Familien in Deutschland konfrontiert werden. Es lädt zu mehr Empathie und Verständnis in einer vielfältigen Gesellschaft ein. Mich hat Tahsims einzigartiger Schreibstil mit Humor, Sarkasmus und unverblümter Ehrlichkeit sehr angesprochen.

„Gülistan ist die Älteste. […] Sie war auch die Älteste von uns allen, die eine eigene Familie gegründet hat. Sie hat geheiratet – freiwillig. Und ob man es glaubt oder nicht, das Zeitalter der arrangierten Ehen neigt sich dem Ende zu. Ausserdem hat sie zwei wunderbare Kinder. Ich habe mich ehrlich gefreut, als meine Schwester ihre „bessere Hälfte“ gefunden und geheiratet hat. Denn endlich wurde ihr altes Zimmer frei, und ich musste meins nicht mehr mit meinem elenden Bruder teilen.
S. 19-20

Sternbewertung

Bewertung: 4 von 5.

«Pick Me Girls» von Sophie Passmann

Inhalt
Sophie Passmann schildert in ihrem Buch das gesellschaftliche Phänomen der Pick Me Girls, also Frauen, die anders sind als andere Frauen. Da „normale“ Frauen oft zu oberflächlich, zu hysterisch, zu laut, zu kompliziert und einfach zu anstrengend sind, heben sich Pick Me Girls bewusst von diesen als typisch weiblich charakterisierten Verhaltensmerkmalen ab. Diese Frauen sind also bspw. eher mit Männern befreundet, interessieren sich mehr für Sport als für Make Up, trinken Bier und essen gern Fast Food. Sie verhalten sich im Grunde einfach mehr wie Männer, um schlussendlich beim männlichen Publikum besser anzukommen, indem sie Weiblichkeit grundsätzlich abwerten und sich davon distanzieren. Passmann erzählt von ihrer eigenen Jugend, ihrer Essstörung, wie ihr unsicheres Selbstbild durch die Gesellschaft geprägt wurde und wie sie selbst zum Pick Me Girl wurde.

Heute beklemmt mich das Konzept, dass es wirklich Männer gibt, die es schätzen, wenn Frauen unkompliziert sind. Es ist ein Wunsch, den ich noch nie aus dem Mund einer Frau über einen potenziellen männlichen Partner gehört habe. Es geht dabei um die Idee, dass der Mensch, mit dem man grosse Teile seines Lebens verbringen möchte, möglichst wenig Widerspruch geben soll, möglichst wenig Arbeit machen soll und alles in allem möglichst mühelos und ohne Abstriche in das eigene Leben integrierbar ist. Ich habe unendliche Male versucht, unkompliziert zu sein, und das Einzige, was das für mich am Ende bedeutet hat, war, meinen Bedürfnissen wenig Raum zu geben.

Pick Me Girls, S. 187

Kritik
„Ist man nicht selbst ein Pick Me Girl, wenn man andere Pick Me Girls nennt?“, fragte mich meine beste Freundin als sie das Buch auf meinem Couchtisch sah als sie zu Besuch war. „Doch und genau deshalb hat sie es ja geschrieben“, antwortete ich ihr. Passmann outet sich als Pick Me Girl, schreibt über ihren Körper, ihre Jugend, ihr Selbstbild auf eine sehr authentische und ehrliche Art und Weise. Das Buch thematisiert Feminismus und den männlichen Blick und das, was Frauen tun, um Männern zu gefallen. Das Buch gliedert sich in die Einleitung, die alternative Einleitung für Männer und anschliessend folgen die Kapitel, die nicht weiter benannt sind, was ich etwas schade finde, da man mit benannten Kapiteln eine schnellere Übersicht über das Buch gewinnen könnte.

Ich schreibe dieses Buch jetzt, weil ich glaube, dass ich jungen Frauen mit ein paar Dingen in diesem Buch das Leben leichter machen kann. Das hier ist kein Teenager-Selbsthilfebuch. Es ist auch kein feministisches Kampfwerk und erst recht, um Gottes willen, keine Autobiografie. Das ist das Buch, das ich mit 14 Jahren gebraucht hätte.

Pick Me Girls, S. 15

Fazit
Das Buch ist eigentlich nicht besonders dick und dennoch brauchte ich mehr Zeit, es zu lesen als für andere Bücher. Es wühlt auf, irritiert, regt zum Nachdenken an. Es hallt nach und macht wütend. Ich habe das Buch gleichzeitig gelesen und gehört, da es kostenlos verfügbar ist auf Spotify. Ich finde diese Art, ein Buch zu „konsumieren“ sehr angenehm, da man so noch tiefer eintauchen kann, wenn man es mit verschiedenen Sinnen liest. Sophie Passmann ist sehr wortgewandt und schildert ihre Beobachtungen mit einem unglaublichen Scharfsinn. Und sie beschreibt einmal mehr ein gesellschaftliches Phänomen, dass Frauen dafür verurteilt werden, Frauen zu sein mit all ihren Vorlieben und Eigenheiten und sich deswegen Mittel und Wege suchen, um sich besser einzufügen, indem sie bspw. zu Pick Me Girls werden. Dabei ist absolut nichts falsch zu sein, genauso zu sein wie alle anderen Frauen.

Sternbewertung

Bewertung: 4 von 5.