Inhalt
In ihrem Buch „Dramaqueen – Frauen zwischen Beurteilung und Verurteilung“ untersucht Tara-Louise Wittwer, Kulturwissenschaftlerin und Influencerin, die Rolle der Frau in unserer heutigen Gesellschaft und wie „internalisierte Misogynie“ oder auch „verinnerlichter Frauenhass“ omnipräsent sind in unserer Gesellschaft. Misogynie wird uns wie Rassismus oder Vorurteile anerzogen und über Generationen weitergegeben. Sie äussert sich oft auf subtile Art und Weise und spiegelt sich in unseren Denkweisen und Denkmustern, die wir so sehr verinnerlicht haben, dass wir sie gar nicht mehr bewusst wahrnehmen, die aber trotzdem unser Denken und Handeln bestimmen. Frauen gelten oft als zu laut, zu emotional, zu schrill, zu kompliziert, zu crazy und haben immer etwas zu meckern. Kurz: Frauen sind anstrengend und zu viel Drama. Wie ist dieser Glaubenssatz eigentlich entstanden? Durch unsere patriarchalen Strukturen. Wir leben seit Jahrtausenden in einer Welt, die für Männer ausgelegt wurde und in der Frauen generell weniger Wert sind. Dadurch hat sich Misogynie in unseren Köpfen verfestigt.
Wittwer selbst lebte jahrelang nach misogynen Verhaltensmustern. Sie wuchs mit dem Glaubenssatz auf, dass Frauen immer zu viel Drama sind und konnte sich nie mit Mädchengruppen anfreunden, weil sie das alles zu peinlich fand. Sie wollte anders sein als all die „typischen“ Mädchen. Sie wollte bloss nicht zu girly sein, denn dann würde sie sowieso niemand ernst nehmen. Sie wollte lieber genau das Gegenteil tun, gedeckte Farben tragen, cool und mysteriös sein, Bier trinken und Zeit mit Jungs verbringen. Ein sogenanntes „Pick-Me Girl“ sein, also eine Frau, die davon überzeugt ist, anders als andere Frauen zu sein und genau deswegen heraussticht. Ganz im Gegensatz zur sogenannten „Basic Bitch“, die Frauen beschreibt, die Freude an populären Dingen haben, die üblicherweise „Frauen gefallen“, wie Maniküre, Make Up, Nagellack, Shopping, die Vorliebe für Pink, Rosa, Blümchenmuster und Männer.
Misogynie beginnt schon bei der Verurteilung von typisch weiblichen Hobbies und Vorlieben. Wenn Männer sich mit Autos und Sportarten wie Fussball, Tennis, Basketball etc. beschäftigen, sind das gesellschaftlich normale und völlig akzeptierte Hobbies. „Typisch männlich“ eben. Weibliche Hobbies und Vorlieben sind nicht nur „typisch weiblich“, sondern auch oft ein wenig dümmlich und unoriginell und werden schnell als negativ behafteter „Weiberkram“ abgestempelt. Misogynie zeigt sich in Aussagen wie „nicht wie ein Mädchen weinen“, sondern besser so „stark sein wie die Jungs“.
Frauen haben immer noch Angst, Männer abzulehnen, wenn kein (sexuelles) Interesse besteht, weil es oftmals nicht akzeptiert wird und sie mit Konsequenzen rechnen müssen. Frauen sollen nicht zu laut und fordernd sein, denn wir wollen am Ende ja schliesslich einen Mann finden, der uns heiratet. Misogyne Muster zeigen sich auch in Beziehungsdynamiken, weil es immer noch sehr verbreitet ist, dass die Care Arbeit, die Haushalt (und Kinder) beinhaltet oft auf den Schultern der Frau lastet. Männer werden oft so erzogen, dass sie zwar im Haushalt helfen, aber nicht unbedingt aktiv daran teilhaben. Eine Beziehung sollte aber eine Beziehung sein und kein Angestelltenverhältnis oder ein Mutter-Kind-Gefälle.
Mehr im Haushalt helfen, mehr mit den Kindern helfen – auch das sind alles nur Sätze, die aufzeigen, bei wem die eigentliche Arbeit liegt: bei den Frauen. […] Das alles heisst so formuliert aber auch, dass Hilfe optional ist, etwas besonders Nettes vom Mann, der uns unter die Arme greift, bei den Aufgaben, die eigentlich beide gleichermassen übernehmen könnten und sollten.
Dramaqueen, S. 89
Wittwer, die auf Social Media als @wastarasagt aktiv ist, erklärt zudem diverse misogyne Social Media Phänomene, wie das Mansplaining, Alpha und Beta Males, MRA und Incels, die Manosphere usw. Sie geht auf Influencerinnen-Hass ein und schildert viele weitere Situationen in unseren Medien, unserer Zeit und unserer Gesellschaft, in denen misogyne Strukturen erkennbar sind.
Wenn du Beispiele brauchst, um zu belegen, dass man Frauen, die über Missbrauch sprechen, nicht trauen und glauben kann, dann ist das misogyn.
Dramaqueen, S. 166
Wenn du Bilder von Frauen zeigst, die unglücklich sind, die weinen, die leiden, und darüber lachst, weil sie crazy sind, dann ist das misogyn.
Wenn Frauen immer und immer und immer wieder eine Extrameile gehen müssen, weil man davon ausgeht, dass man ihnen sowieso nicht glauben kann, dann ist das misogyn.
Internalisierte Misogynie und Sexismus ziehen sich durch die gesamte Geschichte der Menschheit. Das sei nicht über Nacht gelöst. Es sei aber vor allem wichtig, die eigene internalisierte Misogynie anzuerkennen und zu bemerken, wann wir uns selbst oder andere be- und verurteilen und unser Verhalten in Zukunft anzupassen.
Kritik
„Das Buch geht tief“, sagte eine Freundin zu mir, die es vor mir gelesen hatte. Und es ist genau so. Tara Wittwer bildet die internalisierte Misogynie sehr breit ab und liefert fundierte, wissenschaftliche Belege für ihre Beispiele. Der Schreibstil ist ehrlich und humorvoll. Das Buch ist wie der sprichwörtliche Finger, der auf eine Wunde drückt, von der ich gar nicht wusste, dass ich sie hatte. Ich habe mich einerseits sehr oft ertappt gefühlt, wie ich selbst auch misogyne Denkweisen habe und hatte und wurde andererseits sehr oft sehr wütend bei all der Ungerechtigkeit, die uns entgegenschlägt und gar nicht mehr als solche wahrgenommen werden.
Fazit
Dramaqueen ist ein unbequemes Buch, weil es auf unangenehme Umstände in unserer Gesellschaft aufmerksam macht und es regt zum Nachdenken an, allerdings ohne belehrend zu wirken. Ein wirklich tolles, lehrreiches Buch, das aus meiner Sicht alle einmal lesen sollten!
Sternbewertung:
5/5
